Die «Heiratsstrafe» kommt erneut vors Volk: Im Herbst wurde die Initiative zur Einführung der Individualbesteuerung der Bundeskanzlei übergeben, der Gegenvorschlag des Bundesrats befindet sich aktuell in der Vernehmlassung. Bruno Leibundgut über die wichtigsten Auswirkungen der Gesetzesänderung.
Künftig sollen alle Personen eine eigene Steuererklärung ausfüllen – unabhängig ihres Zivilstandes. So will es nicht nur das Initiativkomitee, sondern auch der Bundesrat. Die Individualbesteuerung beseitigt durch einen einheitlichen Tarif die durch Progression bedingte Höherbelastung bei Ehepaaren gegenüber unverheirateten Paaren, setzt höhere Arbeitsanreize für Zweitverdienende und fördert die Chancengleichheit der Geschlechter.
Für Familien sieht der neue Gesetzestext auf Ebene der direkten Bundessteuer verschiedene Begleitmassnahmen vor. Der Kinderabzug soll von heute 6500 Franken auf 9000 Franken pro Kind steigen, da bei einer Individualbesteuerung die Entlastungswirkung für Ehepaare reduziert wird. Ein zusätzlicher Abzug von 6000 Franken für Alleinstehende und Alleinerziehende soll auffangen, dass Haushalte, die aus mindestens zwei erwachsenen Personen bestehen, durch tiefere Wohnkosten und andere Haushaltsersparnisse begünstigt werden.
Der Bundesrat hat den Gesetzestext in zwei Versionen veröffentlicht. Die eine sieht im Gegensatz zur anderen ein Korrektiv für Ehepaare mit nur einem Einkommen oder einem geringen Zweiteinkommen vor. Das Korrektiv würde einen Abzug für Einverdiener-Ehepaare ermöglichen. Der Abzug von bis zu 14 500 Franken nimmt mit zunehmendem Zweiteinkommen ab. Der Gesetzestext ohne Korrektiv hingegen fördert den Erwerbsanreiz für Zweitverdienende besonders stark.
Die Individualbesteuerung würde bei der direkten Bundessteuer Mindereinnahmen von etwa einer Milliarde Franken bedeuten. Dem gegenüber steht jedoch der zu erwartende positive Beschäftigungseffekt, zumal das System für verheiratete Zweitverdienende den Anreiz schafft, mehr zu arbeiten. Der Bundesrat erwartet ein Volumen von bis zu 47 000 Vollzeitstellen.
Für die Mehrheit der Bevölkerung wird die Reform zu einer Steuerentlastung führen, insbesondere für verheiratete Paare mit eher ausgewogenen Einkommen sowie zahlreiche Rentnerehepaare. Alleinstehende Personen und verheiratete Paare mit nur einem Einkommen hingegen können allenfalls höher belastet werden. Mit Ausnahme von Irland, Frankreich und Portugal ist das Prinzip der Individualbesteuerung in allen europäischen Ländern bereits in Kraft, eine Reform unseres Steuersystems ist längst überfällig und wird in der Politik mehrheitlich befürwortet.