Bruno Leibundgut

Dipl. Experte in Rechnungslegung und Controlling
Präsident des Verwaltungsrates

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Revidiertes Erbrecht: Was sich ändert und was zu tun ist

Am 1. Januar 2023 wird das revidierte Schweizer Erbrecht in Kraft gesetzt. Nach neuem Gesetz wird es möglich sein, über einen grösseren Teil des eigenen Nachlasses frei zu verfügen. Wir erklären Ihnen, was sich genau ändert und was das für Sie bedeutet.

Das heute geltende Erbrecht ist vor über 100 Jahren in Kraft getreten und wurde seither nur punktuell angepasst. Damals war die Ehe die praktisch einzige familiäre Lebensform, die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen lag wesentlich tiefer und es existierte noch kein staatliches Sozialversicherungssystem. Deshalb hat der Bundesrat im Zuge seines Berichts «Modernisierung des Familienrechts» vorgeschlagen, auch das Erbrecht an die zeitgemässen gesellschaftlichen Realitäten anzupassen. Es soll der Tatsache Rechnung tragen, dass immer mehr Personen nicht mehr in traditionellen Familienverhältnissen leben und den Wunsch haben, weitere Personen in ihrem Umfeld zu begünstigen. Um der Vielfalt an Lebensformen gerecht zu werden, sieht die Gesetzesrevision vor, dass Erblasser dank gesenkter Pflichtteilsquoten über einen grösseren Teil ihres Vermögens frei verfügen und dadurch beispielsweise ihre faktischen Lebenspartner oder Stiefkinder stärker begünstigen können.

Heute stehen Kindern drei Viertel des gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil zu, künftig nur noch die Hälfte. Der Pflichtteil der Eltern entfällt ganz und jener von Ehepartnern bleibt unverändert. Nehmen wir an, ein Erblasser hinterlässt eine Tochter und einen Sohn und lebt im Konkubinat. Nach heutigem Recht erhält jedes der beiden Kinder zwingend 37,5 % des Nachlasses. Dem Erblasser bleibt mit 25 % nur eine kleine verfügbare Quote, um seine Lebenspartnerin zu begünstigen. Neu wird der Erblasser über 50 % seines Vermögens frei verfügen können, weil jedes Kind nur noch einen Pflichtteil von 25 % erhält. So ergeben sich zahlreiche neue Verfügungsmöglichkeiten. Zum Beispiel kann er seiner Tochter, die das Familienunternehmen übernimmt, 75 % seines Vermögens zusprechen und den Sohn auf den Pflichtteil setzen. Er kann aber auch beide Kinder auf den Pflichtteil setzen und seiner Lebenspartnerin die andere Hälfte seines Erbes hinterlassen. Oder er gibt allen Hinterbliebenen 25 % und vererbt den Rest an eine wohltätige Institution.

Nun ist also der Zeitpunkt, Ihr Testament oder Erbvertrag zu überprüfen und neue Möglichkeiten abzuwägen. Ein bestehender Vertrag wird mit Inkrafttreten des neuen Erbrechts nämlich nicht ungültig, sondern wird, falls die unterzeichnende Person nach Inkrafttreten der Revision stirbt, einfach nach neuem Recht ausgelegt. Im Einzelfall kann es daher je nach Formulierung zu schwierigen Fragen kommen. Besonders dann, wenn nicht klar ist, ob die erblassende Person im Wissen um das neue Erbrecht anders über ihren Nachlass verfügt hätte. Das neue Erbrecht und die veränderten Pflichtteile können je nach Konstellation auch zu unerwünschten Ergebnissen führen.

Wir empfehlen Ihnen in jedem Fall, ein bereits bestehendes Testament oder Ihren Erbvertrag auf die geänderte Rechtslage hin zu prüfen und gegebenenfalls entsprechend anzupassen. Wir unterstützen Sie selbstverständlich gerne und stehen Ihnen von der Beratung bis zur Ausführung mit kompetentem Rat zur Seite.

21. April 2022